Wer mit Kindern oder Jugendlichen zu tun hat, kennt Phänomene wie Konzentrationsschwäche, motorische Unruhe, unleserliche Schrift, Zahlendreher, aggressiv-wildes oder aber scheu-ängstliches Verhalten... Die entsprechenden Ansätze liegen auch schnell auf dem Tisch: ADHS, Dyskalkulie, Schwierigkeiten der Fein- oder Graphomotorik, Lese-Rechtschreibschwäche... Und jetzt bin ich da auf einen Ansatz gestossen, der tiefer geht, der die Ursachen sucht und das Körper-Geist-Mobilée ins Gleichgewicht bringen möchte.
Es ist schon rund 20 Jahre her, da arbeitete für mich eine Heilpädagogin als Stellvertretung. Ich schätzte ihre Fachkompetenz als sehr hoch ein. Des Öfteren verwies sie bei Kindbeschreibungen auf den Moro-Reflex. Mit einer Mischung aus Arroganz und Ignoranz nahm ich dies zur Kenntnis - aber nicht ernst. Ich wusste nichts damit anzufangen, habe mich auch nicht weiter erkundigt - und doch blieb mir der Begriff immer präsent.
Und vor einem Monat präsentiert mir eine Kollegin das Buch "Wieder im Gleichgewicht" von Sieber und Queisser. Kennst du das? Hast du schon mal davon gehört? Tönt noch spannend, oder? Ich blättere das Buch durch, finde es sehr ansprechend gestaltet - und stosse immer wieder auf den Begriff Moro-Reflex.
Damit war meine Neugier entfacht und in demütiger Haltung meiner Kollegin gegenüber habe ich das Buch gekauft.
Ich habe das Buch mit grossem Interesse durchgelesen. Und immer wieder habe ich gestaunt, wie genial aber auch wie komplex die Natur es eingerichtet hat, dass wir a) auf die Welt kommen und b) uns zu einem laufenden, immer selbstständiger werdenden Wesen entwickeln. In einer Phase, in der uns noch kein bewusster Wille zur Verfügung steht, übernehmen Reflexe (unwillkürliche Reaktionen auf einen Reiz) eine wichtige Rolle. Wenn alles den natürlich vorgesehenen Weg gegangen ist, dann übernimmt das Gehirn vermehrt die Steuerung und die Reflexe werden integriert, d.h. sie sind nicht mehr nötig.
Was aber, wenn in dieser Entwicklung und Reifung nicht alles plangemäss abläuft, wenn Reflexe bestehen bleiben?
Dann kann es zu Entwicklungsstörungen führen, zu Lern- oder Verhaltensproblemen kommen oder chronische Krankheiten nach sich ziehen.
Die Zusammenhänge sind in diesem Buch gut verständlich und praxisnah aufgeschrieben. Ich habe das Buch zusammengefasst.
Wie erwähnt, hat mich die Thematik fasziniert. Einerseits, weil man die uns bekannten Phänomene von einer anderen Seite beleuchtet. Und andererseits, weil es Möglichkeiten gibt, die Reflexe nachträglich zu integrieren.
Allerdings sind mir frühkindliche Reflexe in meiner schulischen Tätigkeit (mit der einen erwähnten Ausnahme) nie aufgetaucht. Und deshalb wäre ich sehr froh um Erfahrungsberichte. ==> Uwe.jungclaus@alumni.fhnw.ch
Über die Vielfalt von Phänomenen, denen wir in unseren Schulzimmern begegnen, habe ich auch einen Blog geschrieben. Ich werde dieses Buch meinen Kolleg*innen vorstellen (Stichwort #schwarmkompetenz).
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