Fietes schnaetch #2
Ich sitze vor der Fischbude am Kutterhafen und schaue den Möwen bei ihren tollkühnen Flugmanövern zu. Beeindruckend! Über den endlos weiten Himmel über dem Wattenmeer zieht sich ein einzelner Kondensstreifen. Ebenfalls beeindruckend, wie so eine tonnenschwere Metalldose fliegen kann. Und schon bildet sich eine Assoziationskette: fliegen - Sog/Druck - Schulmotto - warum/wozu
Beim Surfen durch ein soziales Netzwerk bin ich über ein Zitat gestolpert.
Götz Werner (dm Gründer, Interview in derstandard.at): „Im Leben braucht man keinen Druck, sondern Sog. Wer fliegen möchte, braucht Thermik. Flugzeuge fliegen, weil Sog aufgebaut wird. […] Die Sache mit dem Druck ist ein Irrtum, den der Teufel erfand.“
Getriggert haben mich die Begriffe ‚Sog statt Druck‘ und fliegen.
Zuerst habe ich mich etwas schlauer gemacht über das Fliegen.
„Auf ein Flugzeug wirken im Prinzip vier physikalische Kräfte ein: Die Schwerkraft zieht es nach unten, der Auftrieb wirkt nach oben und hält das Flugzeug in der Luft. Der Vortrieb bewegt das Flugzeug vorwärts, der Widerstand bremst es. Erst wenn der Auftrieb größer als die Schwerkraft ist, hebt das Flugzeug ab. Im Gegensatz zu Luftschiffen oder Ballonen, die einfach schweben, weil sie leichter als Luft sind, entsteht der Auftrieb bei Flugzeugen also erst, wenn die Luft die Tragflächen schnell genug umströmt und so immer mehr Auftrieb erzeugt wird. Dazu wird der sogenannte Vortrieb benötigt, den Propeller oder Düsentriebwerke liefern.„
Ich kenne eine Schule, die das Verb ‚fliegen‘ in ihrem Schulmotto führt - gemeint als Ziel einer Entwicklung.
fliegen impliziert Leichtigkeit und Freiheit. Die jungen Menschen werden zunehmend eigenständig und fällen Entscheidungen mit grösserer Reichweite. Aus der Sicherheit und Geborgenheit probieren sie (sich) aus. So ergeben sich vielfältige Momente, in welchen die Kinder Höhenflüge erleben. Denn aus dem Ausprobieren kann eine ungeahnte Stärke entstehen. Fliegend ergeben sich neue Perspektiven, man gewinnt Übersicht, kann einzelne Elemente zu- und einordnen. Der Horizont weitet sich.
> Wir teilen Verantwortung, ohne sie ganz abzugeben.
> Eigene Stärken entdecken und zeigen dürfen, verleiht Flügel und macht glücklich.
> Wir bieten ein Umfeld, in dem sich Stärken zeigen und gefördert werden.
(Schule Häggenschwil)
Ich habe nun zusätzlich versucht, die Dynamik des Startens und Fliegens in das schulische Umfeld bzw. in die Persönlichkeitsentwicklung des Lernenden zu übersetzen.
Man braucht eine gewisse Minimalgeschwindigkeit, bis sich der Sog an den Flügeln bildet und das Flugzeug abhebt. Was ‚beschleunigt‘ die Persönlichkeit eines Menschen so, dass er ‚abheben‘ kann?
Eine positive Selbstwirksamkeitserwartung, d.h. man weiss, dass man selber vieles bewirken und beeinflussen kann. Man ist „seines eigenen Glückes Schmied“.
Ein dynamisches Selbstbild (Dweck, growth mindset) stärkt das Vertrauen, sich entwickeln zu können, dazu lernen zu können, Schwierigkeiten überwinden zu können. ‚The power of yet‚ („Ich kann es NOCH nicht.“ anstelle von „Ich kann es nicht.“) ist die dazu passende Kraftquelle.
Das Selbstkonzept als Gesamtbild der eigenen Fähigkeiten zeigt Stärken und Schwächen, denen man sich selbst bewusst ist.
Und daraus entsteht ein Selbstvertrauen. Man glaubt an sich, an seine Stärken und Ressourcen, an seine Möglichkeiten zur Entwicklung.
Und wie wird dieses Selbst ‚gefüttert‘? Durch positive Lernerfahrungen! „Schule muss erfolgreich sein“ sagt Andreas Müller und meint damit genau diese Verpflichtung, allen Schülerinnen und Schülern Lernerfahrungen zu vermitteln, die eine positive Entwicklung ermöglichen und unterstützen.
Und wenn der Mensch dann ‚flügge‘ ist, dann bestimmen seine Ziele und der Wille, sie zu erreichen, die Flughöhe. Wenn man weiss, warum bzw. wozu man etwas macht, dann ist die Motivation da und stellt Ausdauer und Engagement zur Verfügung. Die erworbenen Kompetenzen kommen zu ihrem Einsatz.
Nochmals zurück zu Sog und Druck.
Simon Sinek, ein amerikanischer Unternehmensberater, Autor und Redner beschäftigt sich unter anderem mit Leadership. „Leading, however, means that others willingly follow you not because they have to, not because they are paid to, but because they want to.„ Ein Satz, der genau den Unterschied zwischen Druck und Sog beschreibt. Noch ein Beispiel? „If your actions inspire others to dream more, learn more, do more, and become more, you are a leader.“ Und ich denke, man könnte hier leader auch ersetzen mit teacher.
Ich kann mich täuschen, aber ich glaube ich habe das Prinzip ‚Sog statt Druck‘ auch schon mal im Kontext Klassenführung gelesen. Anstatt unpassendes oder gar störendes Verhalten ‚öffentlich‘ anzusprechen, zu tadeln oder zu bestrafen richtet man den Fokus auf eine erwünschte Verhaltensweise. Aufmerksamkeit - in der Schule eine hohe Währung - verteilt man dorthin, wo eine angenehme, fruchtbare Lernatmosphäre herrscht.
Was will ich damit sagen?
Das Leben ist selten schwarz-weiss. Manchmal ist auch Druck nötig. Und Druck kann auch zum Erfolg führen. Aber Sog assoziiere ich mehr mit Flow. Sog erscheint mir nachhaltiger. Überzeugen und begeistern ist besser als zwingen.
Das Selbst ist des Pudels - und des Menschen - Kern. Wiglaf Droste singt in einem seiner Lieder den Refrain „schon seltsam, wie leicht man vergisst, das alles, was man tut, für immer ist“ und spielt damit auf die Kraft der Erinnerungen an. Als Lehrperson sollten wir uns auch immer wieder klar machen, dass wir mit unserem Tun und Reden, mit unserem Lächeln und Einfordern uvm bei den Lernenden Spuren hinterlassen, die auch für immer sind.
Willst du mir etwas sagen? Schreibe gerne an fiete-clausen@mail.ch
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