James Clear beschäftigt sich ausführlich mit der Thematik Gewohnheiten, Entscheidungsfindung und nachhaltige Verbesserung.
(siehe sein Buch 'atomic habits' bzw. 'die 1% Methode')
In einer Zeit, in der man sehr viel von Zielen spricht, vertritt er eine Meinung, die es wert ist in diesem Zusammenhang angesprochen zu werden.
“My results had very little to do with the goals I set, but had everything to do with the systems I followed.“

Fietes schnaetch #5
Mein bewusstes Denken greift meistens rund eine Stunde später ins Tagesgeschäft ein als mein Körper.
Wenn der Wecker klingelt, dann greift mein rechter Arm zum Nachttisch, schaltet den Wecker aus und bringt auf dem Rückweg meine Brille mit. Die würde ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht brauchen, denn ich laufe im Dunkeln zur Toilette. In der Küche mache ich mir - perfekt abgestimmt und choreografiert - einen Kaffee und zwei belegte Brote. Anschliessend duschen, Zähne putzen, anziehen. Und erst, wenn ich dann geputzt und gestriegelt das Haus verlasse, erhebt sich mein Geist aus den Federn. Übrigens, meine Frau ist ein early Bird und schon lange weg, deshalb muss ich mich frühmorgens noch nicht artikulieren, geschweige denn unterhalten.
Es ist unglaublich, wieviele Handlungen als Gewohnheiten und Routinen ablaufen. Das Bewusstsein muss nicht abwägen und sich entscheiden - 'es tut einfach'.
Und Gewohnheiten formen die Persönlichkeit.
Könnte man Gewohnheiten nicht gewinnbringend in den Schulalltag integrieren?
Ziele umschreiben das Resultat, das man erreichen will. Gewohnheiten sind kleine, wiederkehrende Handlungen in einem Prozess, der zu einem Ergebnis führt. Selbstredend gibt es gute und schlechte Gewohnheiten, deshalb sind Ziele sinnvoll, um die Richtung des Prozesses zu bestimmen. Grundlage einer nachhaltigen Verbesserung bilden viele kleine Gewohnheiten, die wiederum in Teilsystemen zusammengefasst werden können. Deshalb nennt Clear dieses Prinzip ‘atomic habits’. Oftmals brauchen diese Gewohnheiten eine gewisse Zeit, bis sie ihre Wirkung entfalten.
Ich habe versucht, diese These in einen schulischen Kontext zu bringen.

Clear beschreibt vier Probleme im Zusammenhang mit Zielen.
Gewinner und Verlierer haben oft dieselben Ziele (v.a. im Setting Sport). Es kann also nicht das Ziel sein, das den Unterschied macht.
Wenn man ein Ziel erreicht oder das gewünschte Resultat erzielt, dann ist das eine Momentaufnahme. Eine nachhaltige, grundlegende Verbesserung basiert auf einer konstanten Verhaltensänderung.
Ein Ziel engt auch das Erfolgserlebnis, den Glücksmoment auf einen kurzen Zeitraum ein. Das gute Gefühl liegt in der Zukunft, ist ganz kurz da – und schon wieder vorbei. Zudem errichtet das Ziel einen entweder-oder-Konflikt. Entweder man erreicht das Ziel (Freude herrscht), oder man verpasst es, was Enttäuschung und Frustration bedeutet.
Ziele stehen im Widerstreit zu nachhaltiger Verbesserung, weil sie meist punktuell sind. Oft kreieren sie einen Yoyo-Effekt, und man fällt nach Erreichen eines Ziels in ein Motivationsloch.


Seine Gewohnheiten zu ändern ist gar nicht so einfach. Möglicherweise ändern wir die falschen Sachen, oder wir ändern unsere Gewohnheiten auf eine ungeeignete Art? Man kann sein Vorhaben auf drei Ebenen anpacken.
Wir setzen an bei den Resultaten, den Ergebnissen.
Wir ändern den Prozess, die Handlungen.
Wir arbeiten an unserer Persönlichkeit, an unserer Identität.
Es gibt Gewohnheiten, die stehen im Dienste der erwünschten Ziele.
Ich jogge vier Mal die Woche bei Wind und Wetter, weil ich den Hamburg Marathon finishen möchte.
Andere Gewohnheiten basieren auf meiner Persönlichkeit.
Ich kaufe mein Gemüse auf dem Markt, weil ich so wenig Müll wie möglich hinterlassen möchte.
Es liegt auf der Hand, dass Gewohnheiten, die meiner Haltung entsprechen, nachhaltiger sind und mir ‚leichter‘ fallen. Handlungen, die in Bezug auf das Ziel nötig sind, brauchen möglicherweise einen starken Willen, damit sie umgesetzt werden.
Nachhaltig ist eine Gewohnheitsveränderung also dann, wenn sie mit einer Persönlichkeitsanpassung einhergeht.
Ich möchte mehr Bücher lesen. vs Ich möchte ein Leser sein.
Ich möchte ab und zu joggen. vs Ich möchte ein Marathonläufer sein.
An dieser Stelle lohnt es sich über die Identität, über das Selbst nachzudenken. Bin ich mit einem Selbst auf die Welt gekommen und nehme es unverändert wieder mit ins Grab? Nein, das Selbst ist das Ergebnis meiner Erfahrungen. Und meine Erfahrungen beeinflussen die Art und Weise, wie ich mit Erlebnissen umgehe. Und da wir ständig Erfahrungen machen, verändert sich auch das Selbst mit uns mit.
Und hier wird es interessant und auch ermutigend. Gewohnheiten formen das Selbst!
„You can change who you are by what you do.“
Ich jogge, erstmal bei schönem Wetter und nur kurze Distanzen. Ich merke, dass es mir mit der Zeit leichter fällt und ich verlängere die Strecke. Ich besiege den inneren Schweinehund und renne bei Regen – und merke, dass man den Regen gar nicht gross merkt. Und langsam verändert sich meine Herangehensweise. Anfangs habe ich meine Läufe geplant und in die Agenda geschrieben (ich bin gelaufen) – jetzt komme ich nach Hause, ziehe die Laufschuhe an und jogge los (ich bin ein Läufer).
Was will ich damit sagen?
Kinder brauchen und schätzen Rituale, Wiederkehrendes, Verlässlichkeit.
Übung macht den Meister - also Wiederholungen.
Man kann Übungs-, Lern-, Reflexions- und Austauschsequenzen so in den Schulalltag einbauen, dass sie zur Gewohnheit werden und reibungslos ablaufen.
Gewohnheiten stehen in enger Verbindung mit der Persönlichkeit.
Willst du mir etwas sagen? Schreibe gerne an fiete-clausen@mail.ch
Dieser Artikel bezieht sich auf die ersten beiden Kapitel des Hörbuches "atomic Habits" von James Clear.
Es entspricht in Teilen auch dem Unterkapitel 7.1.7.2. 'Gewohnheiten statt Ziele' des Buches "Lernen und Persönlichkeit".
Einen ausführlichen Artikel über Ziele findet man in einem älteren Blogbeitrag von mir. https://www.learningpersonality.net/post/ziele-setzen
Ich werde mich weiter mit den Atomic Habits beschäftigen und gegebenenfalls Erweiterungen bloggen.
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