Nicht für die Schule geboren
Haeggar hatte auf dem Nachhauseweg von einem Elterngespräch im Kutterhafen ein Fischbrötchen gekauft. Nun sass er kauend auf der Deichkrone. Die Gedanken sind frei, sagt man. Aber wohl selten so frei wie hier an der Küste. Nichts, was den Blick aufhält. Nur endlose Weite.
Haeggar lässt das vergangene Gespräch nochmals Revue passieren. Es ging um Piet. Ein liebenswerter, hilfsbereiter, handwerklich geschickter Junge. Das Gespräch war sehr angenehm, obwohl Piets Noten nur knapp genügend sind. „Er ist halt nicht für die Schule geboren,“ hat Haeggar wohlwollend gemeint. Die Mutter hat bedauernd genickt und der Vater wissend gelächelt.
Aber jetzt, hier auf dem Deich, wird er diesen Satz nicht los. So wie ein Stück Fischgräte zwischen den Zähnen, das man mit der Zunge nicht zu fassen kriegt.
„Nicht für die Schule geboren.“ Oft gehört, oft gesagt, immer akzeptiert, nie hinterfragt.
Muss man es als Schicksal hinnehmen, dass ein Kind nicht ins System Schule passt? Oder ist das vielmehr ein Systemfehler?
Und schon landen wir wieder bei der Sinnfrage: Was soll die Schule bewirken?
Ken Robinson beschreibt in seinen Vorträgen (sehens- und hörenswert) oft, dass in den allermeisten Lehrplänen auf der Welt Fächer wie Mathematik, Sprachen und Naturwissenschaften in der Wertigkeit ganz oben stehen. Musische Fächer kommen zwar auch vor, sie fristen aber eher ein Nischendasein. Die Hauptstrasse der schulischen Bildung endet beim akademischen Abschluss. Natürlich gibt es ganz viele Abzweigungen, Brücken, Umwege und Abkürzungen, aber die akademische Laufbahn gilt als die Traumstrasse. Ken Robinson beschreibt den Akademiker aber als eine mögliche Daseinsform unter vielen. Der Akademiker ist in der Regel ein absoluter Kopfmensch. Aber um die Welt bewohnbar und die Menschheit am Leben zu halten, braucht es nicht nur denkerisch-intellektuelle Kompetenzen.
Führen wir uns die Intelligenzen von Gardner vor Augen. Diese beschriebenen Kompetenzen sind alle wichtig und können nicht hierarchisch geordnet werden.
Wäre es nicht sinnvoll, wenn die Schule die Heterogenität nutzt und mannigfache Kompetenzen fördert? Diversifizieren ist doch ein Grundprinzip in Natur und Wirtschaft.
